expr:content='data:blog.isMobile ? "width=device-width,initial-scale=1.0,minimum-scale=1.0,maximum-scale=1.0" : "width=1100"' name='viewport'/> pleasures of life: Anna und der Schwalbenmann - Gavriel Savit

3. März 2016

Anna und der Schwalbenmann - Gavriel Savit

 
Foto: Verlag


 Anna und der Schwalbenmann kommt mit einem ansprechenden Cover daher, das viele Bücherliebhaber anziehen wird. Diese sollten jedoch tunlichst die Finger davon lassen!
An und für sich ist die Geschichte schnell erzählt:

Anna lebt mit ihrem Vater im Kraukau der 40er Jahre des vergangenen
Jahrhunderts. Der Krieg wird immer bedrohlicher und nimmt Annas
Schicksal in die Hände, als er auch ihren Vater, einen anerkannten
Professoren verschlingt. Anna bleibt alleine zurück und sehnt sich nicht
nur nach ihrem Vater sondern auch nach ihrer gemeinsamen Wohnung,
aus der sie nun für immer ausgesperrt bleibt. Niemand möchte das
jüdische Kind aufnehmen, bis ein großer hagerer Mann auftaucht und
sie, auf seine Reise quer durch Polen, mit sich nimmt.
Die beiden wandern
unentwegt um von den Deutschen und Russischen Soldaten unentdeckt zu
bleiben. Dieses Versteckspiel wird bis zum Ende des Buchs auf seinen
Höhepunkt getrieben.

So weit die vielversprechende Story. In der Umsetzung hapert es jedoch ein wenig  ... gewaltig.
Schon im Inhaltsverzeichnis, bzw. in der sprachlichen Ausgestaltung der Kapitelüberschriften ist der erste Fauxpas zu verzeichen. Kapitel 2: Folge dem Führer - meint: dem Schwalbenmann, einem  Wissenschaftler, der mindestens zwei Juden das Leben retten möchte. Niemand, aber auch wirklich niemand denkt bei der Betitelung Führer an einen vertrauenswürdigen Menschen, der Gutes tut. Nicht einmal in einer Reisegruppe auf dem Brocken. Das Wort Führer ist und bleibt (wahrscheinlich noch für viele Jahre) nunmal negativ konnotiert und hier völlig fehl am Platz. Gerade bei diesem sensiblen Thema muss man auf die Wortwahl achten wie kein Zweiter.
Dann geht es nun aber endlich los mit der Story ... für kanpp über 20 Seiten um dann wieder schlagartig abzuflauen. Etwa hundert Seiten lang wird, mit wenigen interessanten Unterbrechungen, nur gewandert. Von A nach B und zurück nach A über C. Langweilig! Absolut und ohne Beschönigungen: Langweilig!
Ja, es ist der Inhalt des Buchs, dass Anna und der Schwalbenmann eine quälend lange und von Schmerzen durchtriebene Wanderung auf sich nehmen, aber deshalb muss man dem Leser nicht die gleichen Schmerzen beim Lesen bereiten. Viele ungeduldige Leser werden an dieser Wanderung scheitern, die mit Durchhaltevermögen werden jedoch für ihre Geduld nicht unbedingt bezahlt.
Am Ende hagelt es Widersprüche und Ungereimtheiten, weniger für den investigativen Leser, der es nicht scheut Nachforschungen über den Buchdeckel hinweg anzustellen, doch für den gemeinen Leser, der der Lektüre an sich verschrieben ist.
Anna trifft auf ihrem Weg auf viele grausame Begebenheiten, denen ein Kind niemals ausgesetzt sein sollte. So führt sie ihr Weg vorbei an einem unverschlossenen Massengrab in dem abertausende Leichen unter freiem Himmel in einer überdimensionalen Grube entsorgt wurden. Auch treffen sie auf einen Krämer, der Anna für gewisse Gegenleistungen Nahrung anbietet und einem weiteren Mann, einen Apotheker, der sie dazu zwingt sich nackt vor ihm zu positionieren und ihm Freuden dadurch zu bereiten sich selbst anzufassen. Ziemlich harter Tobak für ein Jugendbuch, das Lesern vorgesetzt wird, die selbst gerade erst ihre Sexualität entdecken und darüber oft maßgeblich verwirrt sind.
Doch dann mittendrin die Wende, nach Leichenberg und Krämer die Zeilen:

Es ist nicht gut, zwischen so viel Tod zu leben. Doch jene Tage zu beschreiben - zu jener Zeit an jenem Ort -, ohne das Grauen zu verstehen, wäre, als würde man versuchen, die Zwischenräume zwischen den Fingern zu zeichnen, ohne zu verstehen, was die Finger sind. Dennoch will ich dem Leser die Details ersparen, was Reb Hirschl widerfahren ist.

 Hiermit gehen ich völlg konform, den Lesern muss man nicht auch noch in diesem Jugendbuch die Gräultaten des Krieges bis ins kleinste Detail unter die Nase reiben. Ist das Buch doch auch sonst wenig detailfreudig, was den Krieg angeht. Doch dann, nur 40 Seiten später eine über 3 Seiten lange Beschreibung der Perversitäten des Apothekers. Ist der Mord an einem Mann für einen Jugendlichen tatsächlich weniger zu verkraften als eine Veregwaltigung der gleichaltrigen Protagonisten? Ich bezweifle es.
Tja und zum krönenden Schluss dann noch der Schwalbenmann, der voller Rätsel steckt, die nie gelöst werden.
Offene Enden sind gut und schön, aber bitte im Maße der Interpretationsmöglichkeiten der Leserschaft. Ohne viel Vorwissen kann kein Jugendlicher herausfiltern wer der Schwalbenmann ist. Welcher Jugendliche von 14 Jahren hat heute ein so umfangreiches Wissen über den zweiten Weltkrieg, als dass er wüsste, dass nahezu die ganze Welt scharf auf Atomphysiker war, um die Vormachtsstellung, durch das Wissen um den Bau einer Atombombe, einzunehmen.
Einzig durch das Medikament Kaliumiodid und ein Gespräch des Schwalbenmanns in dem Wörter, wie spaltbares Material, thermonukleare Temperaturen und extremer Druck fallen, kann man die Biographie des dürren Mannes erahnen. Ich mag mich täuschen, aber Atomphysik hatte ich erst in der 10. Klasse, mit 16/ 17 Jahren.
Das Buch hätte so schön sein können, mit all seinen treffenden Vergleichen und tollen Ideen, dahingehend, wie man einem kleinen Mädchen den Krieg erklärt. Doch scheint es, dass Gavriel Savit wenig Kontakt zu seinem Adressatenkreis hat. Ein Erwachsender versucht hier kein Buch für einen Jugendlichen zu schreiben und sich seiner Gedankenwelt anzupassen. Es scheint als wolle er den Stoff auf einfachster Ebene halten und die eigenen Gedanken in die kindliche Figur Annas zu pressen, die dadurch von Anfang an unnatürlich erwachsen scheint.
Ein Rückblick aufs eigene Leben und den Krieg aus Sicht Annas nach sagen wir 50 Jahren hätte als Rahmen für die Erzählung all diese Fehler und verschobenen Gedankenwelten erklärt. So ist und bleibt es ein Roman, der sich irgendwo zwischen Jugendbuch und Belletristik für Erwachsene ansiedelt und weder dem einen noch dem anderen gerecht wird.



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